Die Zukunft des nachhaltigen Hausbaus | key4.ch

Nachhaltiges Bauen: Nur ein Trend oder die Zukunft?

© Getty Images
26.04.2022 | 3 Minuten

Der Klimawandel wirft in allen Branchen Fragen zur Nachhaltigkeit auf. Neben Verkehr und Industrie nimmt der Gebäudesektor einen grossen Anteil am gesamten CO2-Ausstoss der Schweiz ein. Prof. Urs-Peter Menti, Dozent und Co-Leiter am Institut für Gebäudetechnik und Energie IGE an der Hochschule Luzern, spricht im Interview über die Zukunft des klimaverträglichen Hausbaus. Er erläutert, welchen Beitrag die Baubranche, aber auch jeder Eigenheimbesitzer oder jede Eigenheimbesitzerin, zur Erreichung der Schweizer Klimaziele leisten kann.

«Nachhaltig bauen ist im Trend» – stimmt diese Aussage? Und falls ja, weshalb?

Prof. Urs-Peter Menti: War klimafreundliches Bauen in den letzten 20 Jahren noch etwas für Idealisten und Vorreiter, ist es heute in der Tat zum Mainstream geworden. Leute, die ein energieeffizientes Holzhaus bauten, freiwillig auf ein Auto verzichteten, bewusst auf unnötige Reisen verzichteten oder sich vegetarisch ernährten, wurden bis vor kurzem vielerorts belächelt. Heute ist es – zumindest in urbanen Regionen – schon fast zur Normalität geworden, wenn auch noch selten mit der letzten Konsequenz. Gründe für diesen Trend sind sicher die intensivierte Klimadebatte in der Gesellschaft, massgeblich auch getrieben durch die doch immer mehr spürbaren Effekte des Klimawandels mit heissen Sommern, schneearmen Wintern oder auch Naturereignissen wie Überschwemmungen oder Erdrutschen.

All diese Faktoren führen – insbesondere bei den jüngeren Generationen – zu einer erhöhten Sensibilisierung oder gar zu einer Selbstverständlichkeit in Bezug auf ökologische Themen. Dazu kommt auch, dass das nachhaltige Bauen nicht mehr dem Vorurteil unterliegt, teurer zu sein. Insbesondere wenn man eine Lebenszykluskostenbetrachtung macht, ist das klimaverträgliche Bauen schon heute auch aus ökonomischer Sicht im Vorteil. Es mag da und dort in der Investition noch zu Mehrkosten führen, aber die tieferen Betriebskosten, der höhere Werterhalt oder eine bessere Vermietbarkeit kompensieren diese anfänglichen Mehrkosten sehr schnell wieder.

Nachhaltiges Bauen hat demnach in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Wie sieht nun aber die Zukunft des Bauens aus?

Prof. Urs-Peter Menti: Unter «nachhaltigem» Bauen versteht man eigentlich die drei Dimensionen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Wenn wir uns hier aber auf die umweltrelevanten Themen fokussieren, dann findet zurzeit gerade eine starke Entwicklung statt, die sich nahtlos an die vergangenen Entwicklungen reiht: Die Energiekrisen der Siebzigerjahre rückten das Thema Energiesparen in den Fokus. Es ging darum, Energieverluste zu vermeiden, z.B. indem die Gebäudehüllen besser gedämmt oder die Fenster mit Zwei- und Dreifachverglasungen ausgerüstet wurden. Später rückte der Fokus vermehrt auf die erneuerbaren Energien, mit dem Ziel, den CO2-Ausstoss zu reduzieren und somit den Klimawandel einzudämmen.

Ist folglich die Energieeffizienz heute nicht mehr von Bedeutung?

Prof. Urs-Peter Menti: Auch wenn der Fokus vom Energiesparen wegrückte, ist das Thema Energieeffizienz immer noch sehr zentral bei der Erreichung der Klimaziele. Wenn wir es aber schaffen, die Energieversorgung komplett auf erneuerbare Energien umzustellen, dann dürfte die Frage der Energieeffizienz etwas in den Hintergrund rücken. Dann wird es eine primär ökonomische Frage sein, ob Energie gespart oder entsprechend mehr Energie produziert werden soll. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.

Also reicht es auf erneuerbare Energien umzusteigen, um die Klimaziele zu erreichen?

Prof. Urs-Peter Menti: Nein, denn bis anhin lag der Fokus sowohl beim Energiesparen als auch beim Thema «Erneuerbare Energien» fast ausschliesslich auf der Betriebsenergie der Gebäude. In den letzten Jahren erkannte man aber immer mehr, dass die «Graue Energie» unbedingt mitberücksichtigt werden muss. Dabei geht es um den Verbrauch, welcher bei der Erstellung der Gebäude entsteht, und vor allem um die Energie, welche in den Baumaterialien steckt, z.B. für Herstellung, Verarbeitung und Transport der Materialien. Beim Ziel «Netto-Null» bekommt die «Graue Energie» im Bau eine besondere Bedeutung, da hier Potenziale aber auch immense Herausforderungen liegen. Aus diesen Gründen wird neben der Reduktion der Materialmengen und der Verwendung von lokalen Materialien auch der Entwicklung von Materialien, die in der Herstellung weniger CO2 ausstossen, eine grosse Bedeutung zukommen. Die Reduktion des Materialbedarfs ist einerseits eine planerische Herausforderung, fördert aber auch die Kreislaufwirtschaft, welche dafür steht, dass verbaute Materialien beim Rückbau eines Gebäudes nicht entsorgt, sondern in unterschiedlicher Form weiterverwendet werden. Die Kreislaufwirtschaft wird in Zukunft einen hohen Stellenwert im nachhaltigen, umweltfreundlichen Bauen einnehmen.

Sie haben den Einfluss von Baumaterialien in Bezug auf die Klimaverträglichkeit erwähnt. Welche Baumaterialien sind zukunftsweisend?

Prof. Urs-Peter Menti: Wie bereits erwähnt, werden das primär Baumaterialien sein, die bei der Gewinnung, bei der Verarbeitung und beim Transport wenig CO2-Emissionen verursachen. Das ist eine Herausforderung, denn ein Gebäude braucht eine gewisse Masse und Stabilität, was oft zu einem Zielkonflikt führt. Beton und Zement, aber auch andere Materialien geraten dadurch unter Druck. Im Vorteil stehen lokale, nachwachsende Materialien, insbesondere Holz. Ein anderes Material, das immer wieder auftaucht, ist Lehm, vor allem, weil er oft lokal gewonnen werden kann, gut verarbeitet werden kann und sehr gute bauphysikalische Eigenschaften hat, die ausgleichend auf die Raumtemperaturen oder die Raumluftfeuchte wirken.

Welche Massnahmen würden Sie jemandem empfehlen, der heute ein Einfamilienhaus bauen möchte?

Prof. Urs-Peter Menti: Ein pauschales Massnahmenpaket gibt es nicht – dafür ist jedes einzelne Bauobjekt zu individuell und die örtlichen Rahmenbedingungen zu verschieden. Für Neubauten würde ich aber primär eine Energieversorgung mit erneuerbaren Energien wie beispielsweise Wärmepumpe, Solar- oder Fernwärme empfehlen. Dazu kommt, dass eine bewusste Wahl der Baumaterialien zum Beispiel Holz oder Lehm sowie eine zeitgemässe Gebäudetechnik wie Komfortlüftung oder eine Kühlmöglichkeit sinnvoll ist. Mit vernünftig dimensionierten Fenstern soll der Tageslichtanteil hochgehalten werden und zur Vermeidung einer Überhitzung ist ein hervorragender Sonnenschutz vorzusehen. Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach oder in der Fassade ist fast schon selbstverständlich, wie auch eine einigermassen kompakte Gebäudeform. Zur Nachhaltigkeit gehören aber auch Gedanken zum Standort, insbesondere die Erschliessung mit den ÖV oder der Mobilitätsbedarf. Ausserdem sollte der Grundriss flexibel gestaltet werden, um auf sich verändernde Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner reagieren zu können. Um die Wirtschaftlichkeit zu verbessern, ist es zudem sinnvoll, sich über Fördergelder oder spezielle Konditionen bei den Hypotheken zu informieren. Wenn man diese Punkte alle befolgt, hat man schon sehr vieles richtig gemacht.

Verfügt Ihre Immobilie über ein Nachhaltigkeitszertifikat?

Dann kontaktieren Sie uns und wir prüfen, ob eine Green Mortgage zu vorteilhaften Zinskonditionen für Sie in Frage kommt.

Und was sollte ein Eigenheimbesitzer oder eine Eigenheimbesitzerin bei der Sanierung einer älteren Immobilie berücksichtigen?

Prof. Urs-Peter Menti: Bei der Sanierung sind die Handlungsoptionen etwas begrenzter: Die Gebäudegeometrie und auch die Materialisierung sind meist gegeben. Darum stehen hier energetische Massnahmen an der Gebäudehülle, wie Dach, Wände, Kellerdecke und insbesondere Fenster im Vordergrund, kombiniert mit dem Ersatz des Heizsystems und dem Wechsel auf einen erneuerbaren Energieträger. Wichtig bei der Sanierung ist ein Gesamtkonzept, das der spezifischen Situation Rechnung trägt. Ein Gesamtkonzept bedeutet jedoch nicht, dass man immer gleich eine Gesamtsanierung durchführen muss, die häufig aus finanzieller Sicht für den Eigentümer oder die Eigentümerin nicht tragbar ist. Bestehende Liegenschaften lassen sich meist auch in Etappen erfolgreich sanieren. Solange dies auf Basis eines durchdachten, gesamtheitlichen Konzeptes passiert, müssen dadurch keine Abstriche beim Endresultat in Kauf genommen werden. Neben Hüllensanierung und Heizungsersatz lohnt es sich immer auch zu prüfen, ob nachträglich eine Photovoltaik-Anlage installiert werden kann.

Welche Massnahmen lohnen sich also generell in Bezug auf die Klimafreundlichkeit?

Prof. Urs-Peter Menti: Es gibt vermutlich wenige Massnahmen, die sich langfristig nicht auszahlen. Wichtig ist aber immer eine Lebenszyklusbetrachtung, da viele Massnahmen, die auf eine hohe Nachhaltigkeit einzahlen, zwar im Moment teuer sind, sich aber über die Lebensdauer des Gebäudes oder der Anlage bei Weitem amortisieren. Hier können Fördergelder eine gewisse Entlastung bei den nötigen Investitionen darstellen. Bei limitiertem Investitionsvolumen ist es wichtig, die verschiedenen möglichen Ansätze für eine hohe Umweltfreundlichkeit untereinander zu priorisieren und allenfalls schrittweise zu realisieren. Das dürfte bei der Qualität der Gebäudehülle schwieriger sein, eine Photovoltaik-Anlage kann man aber auch erst nach ein, zwei Jahren realisieren. Wenn sie von Anfang an mitgedacht wurde, funktioniert das meist problemlos.

An der Hochschule Luzern laufen verschiedene Forschungsprojekte. An welchen Massnahmen wird derzeit im Bereich «Nachhaltig Bauen» geforscht?

Prof. Urs-Peter Menti: Das Thema «Nachhaltiges Bauen» ist sehr breit und sehr vielfältig – entsprechend verhält es sich auch mit unseren aktuellen Forschungsprojekten. Ich möchte aber ein typisches Projekt nennen: Durch die aufgrund des Klimawandels – insbesondere in Städten – zunehmenden Temperaturen und dem damit verbundenen Hitzeinseleffekt, wird die frühzeitige Planung und Umsetzung von Massnahmen gegen die Überhitzung der Quartiere entscheidend. Diese Massnahmen umfassen die richtige Positionierung der Gebäude, die Materialwahl bei der Gebäudehülle, begrünte Fassaden sowie Wasserflächen im Aussenbereich. Um in einer frühen Planungsphase Entscheidungsgrundlagen dafür zu haben, welche Massnahmen den gewünschten Effekt erzielen, braucht es entsprechende Simulations- und Berechnungswerkzeuge. Wir sind aktuell an der Entwicklung eines solchen Simulationstools, das die benötigten Ergebnisse jeweils sehr schnell liefert und so interaktiv in den frühen Planungsprozess eingebunden werden kann. Während kommerzielle Simulationstools für solche Berechnungen heute typischerweise während 24 Stunden rechnen, wird unser Tool Rechenzeiten von maximal ein paar Minuten benötigen.

Betreiben Sie auch Forschung im Bereich der «Grauen Energie»?

Prof. Urs-Peter Menti: Die «Graue Energie» steckt in den Materialien und Bauprozessen. Man weiss, dass die Gebäudetechnik bis zu vierzig Prozent des Verbrauchs in einem Gebäude ausmachen kann. Wichtig ist entsprechend, dass man in einer sehr frühen Planungsphase die richtigen Entscheide fällt, um die «Graue Energie» zu minimieren. Hier haben wir ermittelt, wo die grossen Hebel sind und wie diese frühzeitig richtiggestellt werden können.

Wie ist es bei anderen Forschungsstätten? Gibt es andere vielversprechende Forschungsresultate, die Sie wegweisend finden?

Prof. Urs-Peter Menti: Es passiert aktuell sehr viel in diesem Bereich. An der ETH Zürich wird z.B. an zementfreiem Beton geforscht, der die heutigen Qualitäten des Betons weitgehend beibehält, aber in der Herstellung markant weniger CO2 verursacht. Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) wiederum hat in einer vielbeachteten Studie klare Sanierungsempfehlungen erarbeitet. Man stellte fest, dass die reine Sanierung der Hülle ohne Ersatz des Heizsystems nicht reicht, um die Klimaziele zu erreichen. Vielerorts wird auch an «farbigen» Photovoltaikpanelen geforscht. Heute sehen Photovoltaik-Panels oft noch sehr technisch aus und verhindern, dass diese auch als gestalterisches Element genutzt werden können. Mit der Möglichkeit, die Elemente beliebig einfärben oder bedrucken zu können, werden die Einsatzmöglichkeiten – vor allem auch im Fassadenbereich – massiv grösser. Die leichte Reduktion beim Wirkungsgrad wird durch die Vervielfachung der möglichen Flächen mehr als kompensiert. Zudem werden PV-Zellen immer mehr direkt in die Fassadenelemente integriert und nicht mehr aufwändig aussen auf die Fassade aufgesetzt – was aus ökonomischer Sicht ein grosser Vorteil ist.

Über Prof. Urs-Peter Menti

Prof. Urs-Peter Menti ist Dozent für Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern, wo er die Co-Leitung des Instituts für Gebäudetechnik und Energie innehat. Zu seinen Kernkompetenzen gehören nachhaltiges und energieeffizientes Bauen, Energie- sowie Gebäudetechnik. Neben seiner Funktion an der Hochschule ist Urs-Peter Menti als Experte, Beirat und Verwaltungsrat sowie als Kommissions- und Vorstandsmitglied tätig.


War dieser Artikel hilfreich?
Vielen Dank für Ihre Stimme!

Lesen Sie mehr über


Weitere Artikel zum Thema


Bereit für das beste Angebot?


Bleiben Sie auf dem Laufenden

Lesen Sie regelmässig spannende Beiträge und erhalten Sie hilfreiche Tipps rund um den Haus- und Wohnungskauf.

Newsletter abonnieren